Die rot-orange glühende Sonne wärmte mit ihren letzten kräftigen Strahlen die M’Wakassi-Makele-Lodge im Süden Kenias. Laut zirpten die Grillen, von ferne war Löwenbrüllen zu vernehmen. Vor der Lodge saßen der vergreiste Lord Tottingham und die amerikanische Millionärin Betty Muffin. Beide kannten sich seit Jahren von zahlreichen Diners im Rahmen des Jets-Sets und plauderten nun gelangweilt bei einem hundertjährigen Brandy. Dabei tauschten sie Erinnerungen an alte Freunde aus.
Lord Tottingham erzählte gerade von einem Jagdabenteuer, das er als 19jähriger Soldat der Royal Navy nach dem Birma-Feldzug erlebt hatte: „…konnte ich der blauen Riesenschildlaus im letzten Moment einen Blattschuss verpassen.“
Da sagte die Millionärin mit einem schwermütigen Blick: „Ja, in manchen Gegenden leben ja tatsächlich nur noch einzelne Exemplare. Die müssen sich den Lebensraum mit anderen Arten teilen. Wie traurig.“
Der Lord begann zu dozieren: „Aufgrund der Ausbeutung durch die Ameisen huschen die wilden blauen Mammutschildläuse aber auch schnell in Deckung, wenn jemand kommt. Vielleicht siehst Du sie nur nicht?“
Doch Betty war sich unsicher: „Ist bestimmt ein ‚blinder Fleck‘ bei mir. Oder eine ‚Schildlausphobie‘?“ Sie schüttelte den Kopf, leerte das Glas und schenkte sich einen weiteren Brandy ein.
„Die sind aber auch verdammt gut getarnt, die Biester, schränkte der Lord nun ein, Erst neulich ist es mir gelungen, eine Riesenschildlaus zu fotografieren. Schau mal hier.“ Dann zog er aus seiner Kaschmir-Jagdweste eine Brieftasche aus feinstem Emsländer Schneckenleder und fischte ein Foto heraus, das er der Millionärin zeigte: „Ich halte es für einen absoluten Glücksfall, wie gut sichtbar ich die Laus hier abbilden konnte!“
Die Millionärin sah einen Moment auf das Bild, dann sagte sie „Kein Glück, mein lieber Totti. Können – Du hast es einfach drauf, diesen Schildläusen auf der Lauer zu liegen, bis sie Dir ihr Innerstes offenbaren. Du schlägst dann natürlich erbarmungslos zu, wenn sie besonders angreifbar sind.“
Der Lord räumte ein: „Gut, es mag auch daran liegen, dass ich mit dieser sündhaft teuren, von Stan Kubrick selbst konstruierten Kamera knipse, die ich für ein Vermögen bei Sothebys erstanden habe. Deren Verschlusszeiten sind einfach unglaublich und umgekehrt proportional zu ihrem Preis. Aber so ist es eben, wenn man immer das Besondere will.“
Die Millionärin lenkte ab: „Na gut, ich glaub Dir. Du hängst ja immer noch bei Sothebys rum. Hast Du die Kamera auch bezahlt?“
Der Lord ereiferte sich: „Ja, aber selbstverständlich. Oder willst Du mich einen Betrüger nennen? Außerdem hänge ich selten persönlich bei Sothebys herum. Dafür habe ich einen Agenten. Du glaubst doch nicht, dass ich für so eine popelige Kamera meinen Urlaub auf meiner Privatinsel bei den Bahamas unterbreche?“
Betty schüttelte den Kopf: „Nein, niemals. So was würde ich bei einem Lord gar nicht wagen. Dein Agent ist zuverlässig? Ich suche noch nach einem hübschen kleinen Aktbild für die Hall. So 1,20 x 2,30 m. Übrigens bin ich froh, das Du auf die Bahamas geflogen bist. Die Bermudas sind echt popelig geworden.“
Der Lord nickte bestätigend: „Das stimmt, der Pöbel stört da doch nur noch die Landschaft. Das kann mir auf meiner Privatinsel nicht passieren. Obwohl ich ja immer sage: Der Kaviar gehört auf die Straße geworfen, damit der Pöbel darauf ausrutscht!“
Die Millionärin versuchte mit dem Brandyglas in der Hand zu klatschen, fast verhakten sich dabei ihre Platinringe mit den wachteleigroßen Diamanten ineinander: „Bravo! So gehen wir mit dem niederen Volk um.“
Der Lord betonte: „Eben!“ Dann wandte er seinen Blick dem Horizont zu und schaute in die Ferne, als visiere er zu jagendes Großwild an. Beide schwiegen einen Moment und lauschten entfernt kreischenden Pavianen, die angesichts der Schreie offenbar mit einer Schlange kämpften.
Nur wenig später fragte die Millionärin aber: „Womit könnten wir die armen Schlucker denn noch so quälen?“
Ohne zu Zögern bellte der Lord zurück: „Wir könnten ihnen das Brot wegessen, dann müssten sie sich von Torten ernähren!“ und lachte.
Betty stimmte in das Lachen ein, dann sagte sie: „Perfider Plan. Wir vergiften das Wasser, dann gibt’s nur noch Champagner!“
Der Lord schaute sie verdutzt an und gegenfragte: „Wasser kann man tatsächlich trinken? Ich habe zwar schon davon gehört, hielt es aber für ein Gerücht!“
Die Millionärin fühlte sich ertappt, sie versuchte sich aus der Situation zu lavieren, um weiter zu verbergen, dass sie aus einer Millionärsfamilie von Demokraten entstammt: „Na ja, es gibt so Leute, die tun das. Aber wir nehmen doch sogar Evian zum Waschen. Man muss immer etwas vornehm bleiben.“
Der Lord stutzte einen Moment. Dann traute er sich zu fragen: „Wie schmeckt Wasser denn, kann man das mit einem guten Cognac vergleichen?“
Die Millionärin schüttelte wild ihren Kopf, ihre glänzenden Ohrringe aus dem Schatz des König Salomon klapperten in der sich abkühlenden Abendluft: „Nein keineswegs. Es ist fad und öd. Es ist so bürgerlich-neutral. Es hat keine Kalorien, wovon soll man da fett werden?“
Doch der Lord bohrte insistierend weiter: „Könnte man es nicht wenigstens mit verriebenem Blattgold exklusivieren?“
Da erinnerte sich die Millionärin: „Das ginge schon. Aber ich habe das prüfen lassen, es ist nicht teuer genug. Jetzt trinke ich es manchmal heimlich mit Diamantenstaub.“ Sie sagte noch „Das geht so“ und wackelte mit der Hand.
Der Lord lehnte sich zurück, schaute die Millionärin an und lachte: „Du bist mir eine: Immer mit dem Pöbel auf Du und Du!“
Dann lachte auch die Millionärin wieder: „Ja, ich habe eben einen Hang zum Personal.“
Damit hatte sie jedoch das falsche Thema angeschnitten. Sofort wurde Tottingham wieder ernst. Er schaute verkniffen drein und schimpfte: „Ach, hör mir mit dem Personal auf! Ich habe die Woche schon den dritten Chauffeur. Die Trottel schaffen es einfach nicht, meine zehn Bentleys und zwölf Ferraris an einem Tag zu polieren. Faules Pack! Und dann wollen die noch Six Pence die Stunde. Six Pence! Das muss man sich mal vorstellen!“
Jetzt redete sich der Lord in Rage, Betty versuchte ihn zu beruhigen, indem sie ihre freie Hand auf seine Schulter legte: „Du solltest die ‚Dienstleistungen‘ etwas anders bewerten. Die Leistungen fallen ja nicht in der Garage an…“ Sie leerte ihr Glas und schenkte sich wieder nach.
Die Laune des Lords hatte sich allerdings immer noch nicht wirklich gebessert. Leise schimpfte er in sich hinein: „Als ob mein Chauffeur zum Polieren in die Garage dürfte. So weit kommt’s noch! Da müsste er mir schon mit der Gewerkschaft drohen!“
Plötzlich wurde Tottingham wieder laut: „Ne, ne, ne. Für die kann der Staat aufkommen! Wofür parke ich schließlich meine Milliarden auf den Bahamas?“
Doch mit den Bahamas als Geldanlegeort enttäuscht er die weltgewandte Finanzfachfrau, leise macht sie „Tztztz“ und murmelte „Bahamas, ha, Cayman Islands, Hongkong, dahin solltest Du Dein Geld bringen. Oder auf ein Schweizer Nummernkonto!“
Der Lord druckste herum: „Naja, weißt Du, die Caymans meide seit einem kleinen Zusammenstoß mit dem Gouverneur. Und die Schweizer? Die machen doch sogar schon Tresore auf, um Naziraubkunst herauszurücken. Ne, ne, die sind für sowas nicht mehr vertrauenswürdig.“
Da stimmte Betty zu und sagte: „Schon wahr, die Welt ist nicht mehr das, was sie mal war.“
„Wie anders ist es da doch noch auf der Großwildjagd“, wusste der Lord wild gestikulierend zu berichten, „da gehe ich immer noch volles Risiko ein. Wie immer bei wichtigen Dingen im Leben. Ich jage Großwild wie Riesennacktschnecken und trinke im Auto 200jährigen Rotwein auf die Gefahr hin, Flecken zu machen, die man nie wieder herausbekommt. Man lebt schließlich nur einmal!“
Dieser Leistung musste die Millionärin einfach Respekt zollen: „Du bist und bleibst eben ein Teufelskerl. Auch mit 97 noch unschlagbar männlich, wagemutig, unbeugsam und gnadenlos.“
Der Lord nickte und freute sich: „Das hat Hemingway damals auch jedesmal zu mir gesagt, bevor ich ihn mit einem Dutzend ‚Death in the Afternoon‘ unter den Tisch gesoffen hatte. Der hat mich ja stets bewundert.“ Dabei tippte er zu jeder Silbe auf die Armlehne seines mit Okapifell bezogenen Safarisessels und die Millionärin ergänzte: „So wie ich. Mir bleibt keine andere Wahl.“
Eine Gemeinschaftsarbeit von MagicMuffin und DocTotte in BlogVision.