Ich habe eine Mogigrafie!

Es ist schon ein halbes Jahr her, da hab ich mal etwas darüber geschrieben, wie man in manchen fremden Gesichtern das Gesicht eines Freundes oder einer Freundin zu erkennen glaubt. Einzelne Elemente täuschen eine Ähnlichkeit vor, die der objektive Betrachter nie sehen würde.

Fast genauso lange schon habe ich vor, zu diesem Aspekt unseres Hirns weiteres zu beschreiben. Ich „er“-kenne nämlich nicht nur in fremden Gesichtern mir bekannte Züge, sondern habe diesen Effekt auch bei Landschaften.

Es gibt auf dem Weg, den ich täglich pendle, mehrere z. T. sehr unterschiedliche Landschaftszüge, die mich an Landschaften aus allen möglichen Ecken erinnern. Zum Teil sind es Landschaften, die ich täglich gesehen habe, zum Teil aber auch solche, an denen ich nur ein einziges Mal in meinem Leben vorbeigekommen bin.

So gibt es in Düsseldorf einen Bahnhof, der mich frappant an einen Ort in Schwerin erinnert (in der Nähe hab ich bei einem Chinesen gegessen, das weiß ich noch). Das Alberne: In Schwerin gibt’s da nur eine Straße, keine Gleise. Und die Straße führt südlich an einem See vorbei (es ist nicht der See mit dem Schloss), in Düsseldorf ist analog zur „Seeseite“ nichts als etwas sehr Flaches, das zu den Gleisen hin zugewachsen ist (es könnte eine Wiese oder ein Bolzplatz o. Ä. sein).

Eine andere Stelle auf dem Arbeitsweg ist ein niedriger, aber scharfer Höhenzug, der südlich der Ruhr aus dem Boden bricht. Er erinnert mich jedes Mal, wenn ich ihn sehe, an die Jungmoräne mit dem Kieler Berg. Das war der Höhenzug östlich des Dorfes in Schleswig-Holstein, das ich lange bewohnt habe. Zum Kieler Berg bin ich manchmal wochenends um 4 oder 5 Uhr morgens mit dem Fahrrad gefahren und hab den stillen Wald am frühen Morgen genossen (etwa so, wie die Mücken mich dann genossen haben, diese Mistviecher!).

Was ist es nun, was das Hirn da macht? Warum ergänzt es Bruchteile unserer Wahrnehmung mit Puzzlestücken aus unserer Vergangenheit? Diese Funktion, die beim Lesen noch praktisch ist, weil man auf diese Weise Wörter lesen kann, die total falsch geschrieben sind – bekanntermaßen reicht es ja sogar, wenn nur die Anfangs- und Endbuchstaben rhcitig geschrieben sind – hat doch für Gesichter und Landschaften nur wenig Sinn. Bon, bei Gesichtern hilft es meinethalben noch, Leute wiederzuerkennen, die man lange nicht gesehen hat und die sich stark verändern haben. Was aber nützt es mir, überall in der Weltgeschichte Landschaften wiederzuerkennen, die in Wirklichkeit ganz andere sind? Soll es eine beruhigende Vertrautheit herstellen? Ist es unsere Sehnsucht nach Bekanntem, um uns in Sicherheit zu wiegen?

42 Gedanken zu “Ich habe eine Mogigrafie!

  1. Also ich finde das höchst praktisch! Als ich beispielsweise in Spanien arbeiten musste, war ich heilfroh, dass mein Gehirn solche Parallelen zur Heimat zog. Wir waren zumeist um 3:00 – 4:00 Uhr morgens mit dem Auto unterwegs und da war weit und breit niemand, den wir nach dem Weg fragen konnten. Auf einer Strecke von rund 150km kann man sich auch schon mal ordentlich verfransen. Genau hier fand ich es total hilfreich, dass einzelne Landschaftsteile mich aber so was von an daheim erinnert haben.

    lg
    albert
    (der damals den berühmten Ausspruch geprägt hat: „Kreisverkehr gibt’s kan!“)

  2. Mit Landschaften kenne ich das weniger als mit Menschen. Ob es was nützt? Dieses „in fremden Gesichtern andere Menschen zu erkennen“, das finde ich höchst beängstigend. Sehen die alle so gleich aus? Wie langweilig. Hoffentlich geht das niemanden mit mir so. Auf der anderen Seite hat das ja matrix´sche Züge. Es gibt noch eine andere Welt… HURX.

      1. Ja. Aber selten. Ich gehe ja viel spazieren durch Wald und Dorf und Stadt. Hier und da gibt es ein paar Ecken die mich an andere Ecken erinnern. Mir ist das aber schon ein paarmal im Ausland passiert wo ich dachte das kann ja jetzt überhaupt nicht sein, und doch war es so.

  3. Unser Hirn versucht „Ordnung“ für uns zu schaffen, damit wir uns zurechtfinden. Durchaus bekannt, schätze ich sehr, was der Denkapparat da mit uns tut. ;D

    Erschreckend finde ich es umgekehrt, du fährst zu einem Ort, an dem du (nachweislich) noch nie warst, hast eine gewisse Vorstellung davon und dann?… Bist du da… und es sieht ge-nau-so aus, wie in deiner Vorstellung.

      1. Sehr ungewöhnlich war es: Ein Urlaub an einem mir persönlich unbekannten Ort und doch wußte ich genau, wo der See liegt, wie es da aussieht und von einer Lücke im Steg. Das ist viele Jahre her, ich kannte vorher keinen Prospekt und Internet gab es noch nicht. Somit konnte ich mich vorher nicht informiert haben… Das war ein sehr eigentümlicher Urlaub. Schön aber voller Fragen und Eltern gucken einen sehr komisch an, wenn Kind „solche“ Fragen stellt… 🙄

          1. Richtig. :)) Ich dachte, deine Frage bezog sich auf den 2. Absatz von meinem vorherigen Kommi. 😉

            Ich habe schon mehrfach Lotto gespielt. Bringt nix. 🙄 :))

          2. Ja natürlich. Ich wollte nur unterstreichen, dass es jetzt nach der ausführlichen Erklärung wirklich ein anderer Effekt ist.

            Und Gegendlotto? Gibt es sowas? :))

  4. Vieleicht liegt dem Problem eine zu starke Fixierung auf eine überproportionierte optische Sensorik zugrunde?

    Mir ergeht es manchmal auch so, daß ich in Berlin um eine Straßenecke biege und denke: „Das sieht doch genauso aus wie in xy!“ Aber es ist eine Täuschung, wie mir dann sofort die Nase verrät: jeder Ortsteil hat bei aller Ähnlichkeit mit anderen Vierteln einen eigenen „Geruch“, einen eigenen „locus vivendi“, der jegliche Verwechselung unmöglich macht.

    Auch glaube ich, daß letztendlich auch die Landschaften dieser Welt – eine jede einzelne für sich – ihren eigenen unverwechselbaren Charakter hat, den es dann mit der ganzen Einfühlsamkeit und allen sechs Sinnen des Betrachters zu erspüren gilt.

    (Die Mücken sind übrigens gar keine Mistviecher, sondern stets als willkommen zu behandelnde Künder der Tatsache zu sehen, daß das Ungeziefer Mensch doch auch mal dann und wann zu etwas nütze ist [- zumindest sein Blut].)

    1. Zumindest scheint es (nach dem Gehör) vor allem um die Optik zu gehen.
      Olfaktorische Hintergründe scheiden während der Bahnfahrt ja aus, zumindest bezüglich der Landschaft drumherum. Da muss man sich mit dem Atemfrisch-Kaugummi des Gegenübers oder dessen Knoblauchausdünstungen vom Dönerstag „zufrieden“ geben. 😉

      1. OK, Vorbeifahrlandschaften sind dann ja ein ganz eigenes Thema, sind eher Fenstertapete als wirkliche Landschaft. Da sieht dann natürlich alles immer ganz schnell ganz gleich aus…

  5. Möglicherweise bist du einfach besonders aufmerksam, hast einen Blick für Details und dein Gehirn ist so gut trainiert, dass es mehr für dich aufbewahrt und im entsprechenden Moment hervorholt als bei anderen. Solche Details können schon sehr hilfreich sein …

    Was es dir nützt, merkst du vermutlich erst, wenn dir so ein Nutzen aus gegebenem Anlass direkt bewusst wird, aber auch ohne es nutzen zu können finde ich es toll, wenn Leute die Gabe des Kombinierens so vielschichtig umsetzen können und es auch noch bemerken (viele sehen zwar unglaublich viel, beachten es aber weniger als sie könnten).

    Erfreulich, dass du die Resultate deiner Gehirnarbeit so schön zu dokumentieren imstande bist. Mit so einem wie dir hätte die Hirnforschung es leichter ;). Ob es aber wirklich schlüssige Ergebnisse für die Ursachen brächte, ist fraglich. Geistige und seelische Vorgänge sind nach wie vor die unergründlichen Wunder der Menschheit und bleiben es vermutlich auch noch sehr lange Zeit. Mehr als Spekulation ist immer noch nicht, egal wie sehr sie uns verkabeln …

    1. Aufmerksam mag sein, zudem ich viel Zeit in (Selbst-)Beobachtung investiere, auch wenn manche Zeitgenossen das bestreiten.

      In welchen Situationen der Ähnliche-Landschaften-Effekt hilfreich sein kann, weiß ich aber noch nicht.

      Übrigens geht das bei mir auch in anderer Hinsicht: Ich kann gut Stimmen erkennen und sagen: Die Stimme von dem Hörbuch hat den und den in dem und dem Film synchronisiert.

      Schwieriger fällt es mir da bei Gerüchen, insbesondere bei Parfüms. Ich erkenne zwar oft was wieder, brauche aber verhältnismäßig lange, es der richtigen Person zuzuordnen. Und einem Produkt kann ich es fast nie zuordnen, was aber eher daran liegen dürfte, dass mir die Verbindung Flacon–Geruch fehlt.

      Ach, ich würde gern viel mehr dokumentieren, aber die liebe, liebe Zeit … 🙄

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