Fear and Loathing in Rüttenscheid

Heute möchte ich eine Geschichte aus meiner wilden Jugend erzählen. Jugend? Kann man 9 Jahre schon als Jugend bezeichnen? So richtig Kindheit ist das ja auch nicht mehr, oder?

Egal. Ich hatte damals einen guten Kumpel: Peter. Peter hatte einen coolen englischen Nachnamen, weil sein Papa Engländer war, der sich aber zwischenzeitlich von seiner Frau getrennt hatte. Den Nachnamen werde ich selbstverständlich aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht nennen. Peter und ich haben allerlei Blödsinn gemacht. Besonders gefiel mir, dass er ganz gut was in der Birne hatte und sich nicht nur mit Belanglosigkeiten aufhielt, die zeitweise natürlich auch mal lustig sein können – beispielsweise wilde Schießereien zwischen parkenden Autos mit zwei Dutzend anderen Jungs. Oft drödelten wir zwei einfach durchs Viertel, schauten uns hier um, schauten uns dort um. Beispielsweise entdeckten wir, als das Ruhrlandmuseum in den frühen 80ern gebaut wurde, ein nettes Loch im Bauzaun. Nach Feierabend der Bauarbeiter schlichen wir durch das Loch und kletterten auf der Baustelle herum, bis es dunkel wurde.

An einer Ecke in der ungesicherten zweiten Etage entdeckte einer von uns – ich weiß wirklich nicht mehr, wer von uns beiden es war – ein paar leere Bierflaschen. Wir zwei, nicht doof, hatten gleich die Idee, die Flaschen zu sammeln. Wir schauten nach einer ollen Plastiktüte und stopften die dreckigen Flaschen da rein. Irgendwann hatten wir zwei Tüten voll und kletterten wieder durch das Loch im Zaun auf die Straße. Dann klapperten wir Buden ab, um das Pfandgeld zu kassieren. Ein paar Buden weigerten sich, die dreckigen Flaschen anzunehmen. Unter anderem mit der Begründung, dass die doch sicher nicht von uns seien. (Das sollte man mal einem Flaschensammler heute erzählen, der holt aber die Hartz-IV-Keule aus dem Wägelchen – zu Recht!)

Egal. Wir hatten unser Glück auch an der Stammbude bei uns in der Straße probiert. Das heißt, es gab zwei Buden, an jeder Ecke eine. Die eine wurde von einem betrieben, der wahlweise der Lange oder der Doofe genannt wurde (weil er sich beim Zählen irgendwelcher Weingummis, Brause-Ufos, Leckmuscheln oder Kokosschokoladestücken nicht sehr geschickt anstellte). Leider war die Bude vom Langen auf dem Weg von der Grundschule nach Hause. Hatte man also dreißig oder vierzig Pfennig in der Tasche, war klar, wo man die nach der Schule in Süßwaren umtauschte, die man mit den besten Freunden teilte – Ehrensache!

Die andere Bude, die heute ein Geschäft für Kinderklamotten beinhaltet, wurde von einem Mann geführt, der aufgrund eines gewissen körperlichen Merkmals nur „der Dicke“ genannt wurde. Der Dicke hatte eine spitze, hängende Unterlippe, so lange spitz ausgezogene Augenbrauen und bescheidenen Haarwuchs auf dem Kopf. Manchmal erwischte man ihn dabei, wie er ein Pornoblättchen namens Happy Weekend las (natürlich wurde mir erst Jahre später bewusst, was da so rumlag, als nämlich ein Schulfreund regelmäßig Happy Weekend u. Ä. bei Tankstellen klaute). Zu dem Dicken hatte meine Familie ein besonderes Verhältnis. Einerseits war er meist etwas günstiger als die andere Bude, andererseits gab es einmal eine mehrstündige Fehde zwischen ihm und meiner Familie und das war so:

Klein-Totte hatte monatelang jeden Pfennig gesammelt, den er in die Finger kriegen konnte, um – ja was wohl? – Süßkram zu kaufen. Ich warf dem Dicken ca. eine Mark fuffzich auf den Tresen, um mir weiterverarbeiteten Zucker zu besorgen, aber der Dicke sagte nur: „Den Schrott nehm ich nich an!“

Klein-Totte war aufgelöst, sah sich dem Zuckerhimmel doch bereits so nahe und ward doch am Eingang ins Elysium der Kohlenhydrate gehindert. Was tun? Klein-Totte hatte zu dieser Zeit noch einen funktionierenden, also lebenden Papa, der half. Der latschte nämlich kurzerhand zum Dicken und machte ihm mal eben klar, dass es sich dabei sehr wohl um Geld handelt (dass sich der Herr Papa dazu – wie in damaligen meiner Vorstellung – gewisser Bud-Spencer-Techniken bediente, entspricht höchstwahrscheinlich nicht den Tatsachen). Nach diesem Ereignis nun war es fürderhin kein Problem, beim Dicken in Viertel geschnittene Pfennige als Tauschmittel loszuwerden.

Zurück zu den Bierflaschen. Zur Zeit des großen Flaschenraubs war mein Papa längst tot, Peter und ich kämpften uns also vaterlos durchs erbarmungslose Viertel (so hatte ich das übrigens noch nie betrachtet). Wir zwei beiden hatten beim Dicken Erfolg und waren nun nach dem Deal Glas gegen Money im Besitz eines kleinen Vermögens.

Doch was tun? Nach Hause konnten wir das kriminell zusammengestohlene Kapital kaum bringen, es musste heimlich durchgebracht werden, damit nicht auffiel, wie reich wir plötzlich waren. Da entwickelten wir einen teuflischen Plan! Meine Mutter hatte zwischenzeitlich das Rauchen begonnen, erst R6, später R1 – die „Leichte“. Eigentlich durften meiner trüben Erinnerung zufolge schon damals Kinder keine Zigaretten kaufen, ebensowenig Bier. Aber aufgrund der Bekanntschaft hatte ich einen Sonderstatus als Drogenkurier inne. So durfte ich auch für eine Nachbarin allabendlich eine Flasche Hannen-Alt holen, womit ich mir ein paar Groschen die Woche verdiente (das war übrigens die Nachbarin, wegen der meine Mutter einst die Geschicke der Bundesrepublik in ihren Händen hatte). Und es war mir ebenfalls „erlaubt“, Zigaretten für meine Mutter zu besorgen, zumindest beim Dicken.

Peter und ich wollten nun das große Ding drehen: Zichten besorgen(!) und dann selber(!!) rauchen(!!!).

Okay, ich gebe es zu: Meine ältere Schwester hatte bereits mehrfach einzelne Zigaretten geklaut und heimlich zu rauchen probiert. Ich selbst muss auch mal daran genuckelt haben, aber geschmeckt hat es mir sicher nicht. Doch diesmal war es ein ganz anderes Kaliber: der verbotene Erwerb gleich einer ganzen Schachtel!

Ich hab, das räume ich gern ein, Blut und Wasser geschwitzt, als ich die Schachtel gekauft habe. Total übertrieben wies ich darauf hin, dass ich „JA FÜR MEINE MAMA ZIGARETTEN HOLEN SOLL!“. Dass dem Dicken das nicht aufgefallen ist?! Aber gut, vielleicht war es dem Happy-Weekend-Leser auch egal.

Ich klaubte die Schachtel von dem abgegriffenen Furnier der Theke und schritt unter wildem Herzklopfen hinaus. Um es nicht zu auffällig zu gestalten, wartete Peter draußen, steuerte sozusagen seinen Teil der Fluchtmöglichkeit.

Es war warm an dem Tag. Vielleicht nicht gerade heiß, aber doch warm. Jetzt waren wir im Besitz von uns verbotenen Drogen – unfassbar! Doch was damit tun? Natürlich hatte ich vorgesorgt und bereits Streichhölzer dabei. Aber wo sollten wir rauchen? Bei uns zu Hause ging es nicht, das war klar. Peter wohnte in einem Haus, wo man auf dem Hof gar nicht spielen durfte. Bei mir auf dem Hof konnte man zwar spielen, auch mal mit einem Fußball die Glastür zum Flur zerschießen, ohne allzu viel Ärger zu bekommen. Aber rauchen? Da wäre sofort der Schreinermeister angekommen, der berechtigte Sorgen um seine Holzvorräte hatte. Der hatte meine Schwester bereits beim Rauchen und/oder Zündeln erwischt (das konnte nie einwandfrei geklärt werden, die Delinquentin verweigert bis zum heutigen Tag die Aussage; Beweismittel A war ein großer Blumentopf in der Garage mit verbranntem Papier).

Okay, Peter und ich brauchten einen Plan. Und eine Location für unsere Drogenerfahrung. Uns kam eine Idee: der zweite Ausgang der Grundschule. Da gab es eine Treppe, unter der man sich verstecken konnte. Kaum einsichtig, und auch der Hausmeister drückte sich in dem Bereich des Schulhofs nie herum. Unauffällig wie zwei flüchtige Bankräuber mit einem Bus voller prominenter Geiseln kreuchten wir um eine Hausecke, dann um die nächste, wir überquerten eine große Straße, die vierzig Jahre zuvor kurzzeitig Joseph-Göbbels-Straße hieß und kletterten über den ewig verschlossenen zweiten Hofeingang der Grundschule direkt vor der besagten Treppe. Wir werden uns fraglos permanent umgeguckt haben, bevor wir unter den Stufen verschwanden und die Packung erwartungsvoll öffneten. Jeder klaubte eine dieser coolen Stengel hervor, dann schnappten wir uns ein Streichholz und – zawusch! – schon glimmten knisternd die schmalen Tabakzylinderchen.

Ich weiß nur noch wenig vom Rest des Tages, vermutlich weil es von der Spannung zuvor überlagert wird. Aber ich kann mich noch daran erinnern, wie cool wir uns fühlten. Das heißt, cool haben wir es sicher nicht genannt, es war eher eine Zeit, in der wir begannen, das Botanikerwort „geil“ auf alles anzuwenden, was uns gut, interessant, angenehm oder erstrebenswert erschien. Erst später gesellte sich die Steigerungsform des „affentittengeil“ bzw. „oberaffentittengeil“ hinzu.

Tja. Peter und ich rauchten schwer hustend wohl jeder zwei, drei Zigaretten, verbargen die Schachtel an einem geheimen Ort, den nur wir zwei kannten und probierten es ein paar Tage später erneut. Danach packte ich Zigaretten ca. 10 Jahre nicht mehr an und selbst danach nur sehr, sehr sporadisch, eher so Einzelstücke in hochbetrunkenem Zustand, wenn es mir „Der Tequila schmeckt einfach oberaffentittelgeil!“ ging.

Und das war die Geschichte mit Peter und den Bierflaschen aus dem Museum.

Nüsschen essen

Ja, ist es denn wirklich zu viel verlangt? Da bekommt der Kerl Kost und Logis frei, dazu ein – wie ich meine – formidables Taschengeld über 50 Cent (im Monat, Weihnachten sogar 20 Cent extra). Und was tut er? Aber ich sollte vorn beginnen. Wie euch bekannt sein durfte, bin ich ein PS-Fanatiker. Schnelle Autos faszinieren mich, seit ich denken kann. Kein Wunder, dass ich da als Multitrilliardär mir ein Aufgebot an heißen Wagen gönne.

Die mühselige Pflege, in Sonderheit das Polieren, obliegt freilich der Dienerschaft, welche seit Geraumem aus meinem Faktotum, Passepartout benamst, besteht. Doch was macht der faule Lorbass? Spielt den lieben Tag nur mit seiner Strickliesl herum (Lilith musste ihm zu Weihnachten ja eine neue schenken!!), anstatt seinen Pflichten nachzukommen!
Und jetzt? Jetzt ist mein bereifter Schatz nicht länger fahrtüchtig, es sei denn, ich wollte zum Gespött der Leute mich machen!

So sollte es eigentlich in meinem Safe aussehen: Alles voll Moos.
Der Wagen aber ist nicht mehr zu gebrauchen.

Die Sauberflöte (anderes Wort für Staubsaugerrohr)

Eine alte Frau kommt in einen Supermarkt und möchte drei Dosen Katzenfutter kaufen. Die Kassiererin sagt: „Es tut mir leid, aber es gibt eine neue Regel. Ich darf Katzenfutter nur an Leute verkaufen, die Katzen besitzen. Bevor Sie mir nicht bewiesen haben, dass Sie eine Katze haben, darf ich es Ihnen nicht verkaufen.“
Die alte Frau geht nach Hause, holt ihre Katze, geht mit der Katze zum Supermarkt und kauft das Futter.

Am nächsten Tag kommt die alte Frau in den Supermarkt und möchte drei Dosen Hundefutter kaufen. Die Kassiererin sagt: „Es tut mir leid, aber die Regel gilt auch für Hundefutter. Ich darf es nur an Leute verkaufen, die Hunde besitzen. Bevor Sie mir nicht bewiesen haben, dass Sie einen Hund haben, darf ich es Ihnen nicht verkaufen.“
Die alte Frau geht nach Hause, holt ihren Hund, geht mit dem Hund zum Supermarkt und kauft das Futter.

Am dritten Tag geht die alte Frau zum Supermarkt und hat eine Box dabei. Die Box ist komplett geschlossen bis auf ein kleines Loch. Sie geht zur Kassiererin und bittet sie, den Finger in die Box zu stecken.
Die Kassiererin weigert sich erst: „Ich bin doch nicht bescheuert! Am Ende haben Sie eine Schlange in der Box oder eine Ratte und ich werde gebissen! Natürlich stecke ich meinen Finger NICHT in die Box!“
Die alte Frau schwört aber: „Nein, ich habe garantiert keine Schlange oder Ratte in der Box. Darin ist nichts, was Sie beißen könnte. Bitte, stecken Sie ihren Finger nur hinein.“
Die Kassiererin steckt den Finger also rein, fühlt kurz und zieht ihn sofort wieder schreiend raus: „IIIIIIEEEEH! Das fühlt sich ja wie Scheiße an!!!“
Die alte Frau: „Richtig. Ich hätte gern drei Rollen Klopapier.“

Taste: Wölfe stehen für mich total für Freiheit

Schon länger trage ich mich mit dem Gedanken, eine neue kleine Reihe einzuführen: DocTotte interviewt. Erstes Opfer sollte eine Frau werden, die ich schon länger im Blog kannte, letztes Wochenende aber zum ersten Mal sehen sollte.

Taste kommt mit dem Zug an, freut sich grinsend am Bahnhof. In der Menge der Leute trägt sie einen coolen schwarzen Mantel, um den sie die umstehenden Frauen merklich beneiden. Bei manchen glaubt man in den Augen zu lesen, dass sie genau so einen Mantel seit einem Jahr verzweifelt suchen. Im Laufe des Interviews fahren wir zu mir, wo wir das Interview beschließen.

Totte: Hallo, Taste! Ich hoffe, du bist gut angekommen?

Taste: Danke, ja. Ist ja nicht so ein weiter Weg. (Grinst.)

Fangen wir bei deinen Wurzeln an: Du bist bekanntlich eine große Tierfreundin. Warst du schon als Kind von Tieren begeistert?

Immer schon.

Und dein erstes Tier? Wie hieß es?

Peter. Ein Meerschweinchen. So sollte dann auch mein späterer Sohn heißen … (lacht)

Du hast ja bis heute immer wieder Hund und Katz. Sonst sind die Menschen da sehr zwiegespalten. Hundeliebhaber können mit Katzen nix anfangen und umgekehrt. Wie sieht das bei dir aus? Sind Hunde cooler als Katzen?

Würd ich nicht sagen. Katzen sind cooler, weil sie nicht zu erziehen sind, nicht so wie Hunde, und weil sie eigenwilliger und kratzbürstiger sind. Wieso das jetzt unter „cool“ fällt, weiß ich gerade auch nicht. Und Hunde sind einfach die besseren „Kumpels“, die einen … wie soll ich sagen … die zu einem halten und oft mehr Freund als Tier sind – da muss man aber auch aufpassen, dass es nicht „zu eng“ wird … laberlaber … unendliches Tasten-Thema.

Du sprichst es selbst an: Warum ist ein eigenwilliges und kratzbürstiges Tier cooler? Ist es die Herausforderung, mit jemandem anzubändeln, der nicht gezähmt werden kann?

Ja, wahrscheinlich ist es das. Es fasziniert – also zumindest mich –, dass diese Tiere ihr Eigenleben so behalten, sich in ihrem Sein einfach nicht unterkriegen lassen, obwohl sie ja trotzdem genug von uns gezähmt werden. Ich habe z.B. momentan das erste Mal in meinem Leben eine HAUSkatze… (stöhnt) … ich hasse das, dass sie eingesperrt bleiben muss und bin mir sicher, sie hasst es auch, obwohl sie die Freiheit ja gar nicht kennt. Sie bzw. er hat einen starken Charakter irgendwie. Auf „Sitz“ und „Platz“ hört er noch nicht, aber er kommt angerannt, wenn man ihn ruft und wenn es klingelt – hat er sich wohl vom Hund abgeschaut …

Was ist denn insgesamt dein Lieblingstier? Was würdest du gern mal halten, wenn du alle Möglichkeiten der Welt hättest?

Ein Schwein. Oder einen Braunbären. Oder einen Gorilla – das wär auch geil. Ich und der Gorilla im Urwald. Aber wenn ich so intensiver darüber nachdenke, dann würde ich – ganz ehrlich – am liebsten mit den Wölfen leben. Fragt sich da nur, wer wen hält.

Du bist ja auch Musikerin. Du spielst Klavier und hast auch Orgel gespielt. Wenn du dein Lieblingstier mit einem Lied erklären müsstest, welches Lied wäre das dann?

Ou ha. Gute Frage – noch nie drüber nachgedacht. „Genug ist nie genug“ von Konstantin Wecker, aber die neuere jazzigere Version. Oder meinst Du ein Lied, was ich selber gespielt habe auf Klavier oder Orgel?

Nein, nein, ich meinte schon ein Lied an und für sich. Ich muss gestehen, dass ich das Lied nicht kenne. Warum steht es für Wölfe?

Die Musik, der Text und natürlich Wecker, wie nur er es wiedergeben kann, strahlt so viel Wildheit und Freiheitswillen aus. Und Wölfe stehen für mich total für Freiheit. „Genug ist nie genug“ – sagt ja irgendwie schon alles. Willste mal hören? Da wird vorher allerdings ein bisschen gedösbabbelt … (hier geht’s zum Lied) Und wie er in die Tasten haut … Gänsehaut.

Ja, irgendwie bin ich zugegebenerweise kein großer Weckerfan, das mag mit dem Aufstehen zu tun haben. Zurück zu den Tieren: Sie haben ab einer bestimmten Größe einen Nachteil: Sie schränken die Reisefähigkeit ein. Wohin ging deine weiteste Reise?

Nach Frankreich, ich muss den Ort jetzt erst noch suchen – irgendwo weit, weit weg in den Bergen …

(Totte lacht.) Gut, Berge sind ja relativ. Weißt du noch, ob es im Massif Central war? Oder in den Pyrenäen? Oder in den Vogesen? So ungefähr?

Nee, da muss ich noch mal die Freunde, die ich damals besucht habe, fragen. Du weißt doch … Heringshirn und außerdem ist das verdammt lange her … Übrigens kam ich in dem Dorf an und niemand war zu Hause von meinen Freunden und ich hatte kein Geld mehr und keine Übernachtungsmöglichkeit, aber einen Hund dabei und da bin ich in ein Schloss, in dem ein Bildhauer lebte mit seiner schrecklichen-bösen Frau und drei großen weißen Hunden und … ich glaub, das erzähl ich ein ander Mal …

Auha! Du weißt, wie man es spannend macht. Aber gut, Themenwechsel: Was hast du in Frankreich gegessen? Was hat dir am besten geschmeckt?

Käse und Rotwein. (Freut sich sichtlich.)

Das kann ich verstehen. Weißt du noch, welcher Käse das war?

Französischer. (Lacht.)

Sehr gut! Der muss geschmeckt haben (lacht). Irgendwann bist du „von Frankreich“ ins Internet gereist und hast einen Blog aufgemacht. Weißt du noch, wie es dazu kam?

Das war kurz vor meinem 40. Geburtstag – ich suchte was, um meine unbändige Schreibes- und Mitteilungslust loszuwerden, ohne dass sie immer auf irgendwelchen Blättern in der Schublade verschwindet. Von Blogs hatte ich schon gehört und gelesen und bin im Stöbern im Netz bei blog.de gelandet.

Wann wusstest du, was du mit dem Blog „machen“ wolltest? Hat es eine Zeit gedauert oder wusstest du das bereits sehr früh?

Ähm … also … ich wusste gar nicht, was mich erwartete. Ich hoffte wohl, die Idee eines Buches – wie so viele im Blog – mir selber näherbringen zu können durch den Blog. Aber mein Blog entwickelte sich ganz woanders hin. Sehr lustig und ohne genauere Struktur, wie mein Leben irgendwie.

Eine interessante Theorie: der Blog, dein Leben. Oder anders gesagt: Zeig mir deinen Blog und ich zeig dir, wer du bist. Glaubst du, dass sich das auch bei anderen Bloggern so niederschlägt?

Ja. Selbst die, die das nicht so vorhatten oder meinen, bei ihnen sei das nicht so, können gar nicht anders, als auch zu zeigen, wer sie sind mittels ihres Blogs. Da kann man sich nicht verstellen. Und warum sonst eröffnet man einen Blog? Um sich selbst, seine Gedanken, seinen Hass, Liebe, sein Alles in die Welt zu schicken.

Stimmt, selbst wenn man sich verstellt, bleibt ja auch diese Verstellung ein Teil des Selbsts. Dein Blogname ist ja auch eine „Art“ Verstellung. Denn Taste steht ja nicht nur für die Tasten an Instrumenten, sondern auch für Tastaturen an Schreibmaschinen. Schreiben ist dir also schon technisch offenbar sehr wichtig. Nun bist du seit kurzem als Schriftdolmetscherin tätig – sozusagen eine Taubenflüsterin. Was genau machst du da und was unterscheidet dich da von einer Gebärdendolmetscherin?

Taubenflüsterin… so ein schönes Wort. – Ich „dolmetsche“ quasi das gesprochene in das geschriebene Wort mittels einer Sprachsoftware. Das, was gesprochen wird (z.B. an einer Veranstaltung oder auch im Kino, in der Schule, am Gericht, an der Uni, im Krankenhaus, auf Betriebsversammlungen …), das spreche ich nach (es hat bestimmt was zu bedeuten, dass Dieter-Thomas Heck ein Star meiner Kindheit war) und die Software wandelt es direkt um, so dass der oder die Hörgeschädigten es entweder direkt an meinem Laptop oder aber auf einer Leinwand mitlesen können. Läuft also alles parallel: Zuhören, nachbabbeln, während dem Nachbabbeln weiter zuhören, nachbabbeln, mitlesen, ob sich Fehler eingeschlichen haben und diese möglichst sofort händisch korrigieren… eine halbe bis maximal dreiviertel Stunde geht das, dann muss man wechseln. Die Gebärdendolmetscher benutzen mit ihren Händen ja eine eigene Sprache, das kann man gar nicht vergleichen miteinander. Dazu muss ich erläutern, dass die Gebärdensprache von den Menschen erlernt wird, die z.B. schon gehörlos auf die Welt kommen oder als Kind eine Hörschädigung erleiden. Diese benötigen dann Gebärdensprachdolmetscher. Und Menschen, die erst später an einer Hörschädigung erkranken, haben natürlich nicht die Gebärdensprache erlernt. Da kommen wir als Schriftdolmetscherinnen dann zum Zug. Und wir haben wirklich viel zu tun.

Das klingt gut, dann werden du und deine Kollegen noch viel gebraucht. – Auch wenn du „nur“ Schriftdolmetscherin bist, kannst du bestimmt auch etwas Gebärdensprache. Wusstest du, dass man in der Gebärdensprache auch reimen kann? Kannst du ein Gebärdengedicht?

Nein, ehrlich gesagt wusste ich das nicht und ich kann auch keines. Ich bin froh, dass ich ein paar Grundbegriffe beherrsche, das ist nämlich gar nicht so einfach zu erlernen, wie ich mir das dachte, als ich den Grundkurs zum zweiten Mal besuchte und dann aufgab … Aber es kommt auch auf die Sprache an, was du damit meinst: Es gibt ja die Lautsprache. Die übersetzt jedes einzelne Wort Buchstabe für Buchstabe. Und dann gibt es diese eigene von Gehörlosen aus der Not entwickelte Sprache, die nicht Wort für Wort übersetzt, sondern mehr ins Pantomimenhafte übergeht, viel mit Gesten und Körperbewegungen arbeitet.

Also oft sicher auch Moden unterworfen, je nachdem, was die Menschen bewegt oder was es für Geräte, Ideen oder Entwicklungen gibt. Was bedeutet es dir, in unserer Zeit zu leben? Gibt es eine Epoche, in der du lieber gelebt hättest?

Nein, zumindest reicht meine Vorstellungskraft nicht aus, wie es wäre, in einer anderen Epoche zu leben oder gelebt zu haben. Ich würde gerne mal wissen, wie es in der Zukunft aussieht hier, wenn ich nicht mehr bin. Aber nur gucken – nicht mitleben.

Hat dieser Wunsch auch politische Gründe? Immerhin bist du ja durchaus politisch interessiert. Gab es dazu einen bestimmten Auslöser in deinem Leben?

Ja. Der Auslöser dafür lag einfach in der Kindheit begründet oder besser gesagt die „REVOLUTION“ in der Jugend. Gegen Elternhaus und Stumpfsinn, Aufbegehren gegen alles, was Familie heißt … und da kamen mir alle Unterdrückten und Verfolgten gerade recht, um mich zu engagieren.

Ein Moment, das ja viele antreibt. Interessant ist hier die Unterscheidung zwischen der Hilfe für Unterdrückte und dem Kampf aus den Reihen der Unterdrückten heraus. Also ob man sich mit den Unterdrückten gemein macht. Adorno hat das gerade bekanntlich abgelehnt – auch weil es letztlich bedeutet, dass man die Unterdrückung dadurch mehr oder weniger zementiert. Wie siehst du das? Kann man erfolgreich von unten helfen? Oder ist es nicht besser, die Hand von oben zu reichen?

Hm … ich glaube, da muss ich drüber nachdenken …

Das kann man natürlich am besten mit einem leckeren Gläschen Whiskey. Liebe Taste, danke für dieses Gespräch! Und jetzt lass uns mit Glenmorangie anstoßen. (Füllt zwei Gläser ein, freut sich.)

Prost, Totte! (Freut sich, grinst und trinkt.)